M. Carbonnier-Burkard u.a.: Lettres de Jean Farenge à sa famille, 1686 – 1689

Cover
Titel
Un huguenot de Marsillargues réfugié en Suisse. Lettres de Jean Farenge à sa famille, 1686 – 1689


Autor(en)
Carbonnier-Burkard, Marianne; Trouchaud, Jean-Pierre
Reihe
Publications de l’Association suisse pour l’histoire du Refuge huguenot 13
Erschienen
Neuchâtel 2022: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
471 S.
Preis
29 CHF
von
Margrit Wick-Werder

Anfang der 1990er Jahre kam bei Renovationsarbeiten in einem Haus im südfranzösischen Marsillargues (Departement Hérault) ein Bündel von rund dreissig Briefen zum Vorschein, das dort – zusammen mit einigen Psalmenbüchern – vor über drei Jahrhunderten im Dachgebälk versteckt worden war. Es handelt sich um Briefe, die der Hugenotte Jean Farenge in den Jahren 1686 bis 1689 auf seiner Flucht durch die Schweiz geschrieben hat. Adressiert sind sie an seinen Schwiegervater Simon Fontanès, gerichtet aber zunächst an seine Gattin, später an den zurückgebliebenen Adressaten.

Jean Farenge, 1661 in Marsillargues geboren, gehört einer ursprünglich aus Montpellier stammenden protestantischen Färberfamilie an. 1685, im Jahr des Widerrufs des Toleranzedikts von Nantes durch Ludwig XIV., heiratet er Madeleine Fontanès, Tochter eines ménager (Grundbesitzers) und Händlers, ebenfalls in Marsillargues ansässig. Kurz nach der Heirat beginnen im Languedoc die Dragonaden gegen die Protestanten. Diese sind gezwungen, entweder zum Katholizismus zu konvertieren oder ihre Religion im Versteckten, im Désert, auszuüben oder verbotenerweise das Land zu verlassen und auf abenteuerliche Weise ins protestantische Ausland zu fliehen.

Auch die Farenge und Fontanès konvertieren offiziell, fassen aber das Exil ins Auge. Im Frühjahr 1686 wagt Jean Farenge gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder und zwei Freunden heimlich die gefährliche Flucht. Seine Familie, so war es geplant, sollte später nachkommen. Über Genf und Lausanne gelangt er nach Bern, wo er sich ungefähr ein Jahr lang aufhält. Er findet Arbeit in der Färberei von Hans Rudolf Steck im Marzili, im Haus Weihergasse 17, das später vom hugenottischen Seidenfabrikanten Jacques Jonquière erworben wurde. Im Frühjahr 1687 zieht Farenge weiter nach Yverdon, wo er eine eigene Färberei betreibt. Hier endlich erreichen ihn seine Frau und sein Sohn sowie weitere Angehörige, und hier kommt auch seine Tochter zur Welt.

Die weiteren Briefe richten sich vorwiegend an seinen Schwiegervater († 1690). 1693, nach sechs Jahren, entschliesst sich Jean Farenge, wohl wissend, dass seine Zeit in der Schweiz beschränkt ist, nach Dublin weiterzureisen.

Jean Pierre Trouchaud, ein aus Marsillargues stammender und mit seinem Heimatort eng verbundener Geograf, hat sich dieser Briefe angenommen, sie transkribiert und analysiert sowie den familiären Hintergrund recherchiert (ausführliche Prosopografie im Anhang). Dabei stand ihm die auf protestantische Kirchengeschichte Frankreichs spezialisierte Historikerin Marianne Carbonnier Burkard zur Seite. Nach dem Tod Trouchauds 2016 entschied sich Carbonnier Burkard, das Begonnene zu Ende zu führen. Entstanden ist weit mehr als die ursprünglich anvisierte Edition der Farenge-Briefe. Bemerkenswert reichhaltig sind die Details zu den Familien Farenge und Fontanès und deren Umfeld. Das klar strukturierte, auch für Laien gut verständliche Buch gibt darüber hinaus Einblick in den politischen Hintergrund, das soziale Umfeld in Marsillargues, die prekäre Situation der Protestanten in Frankreich und das Refuge. Die Darstellung der Zeit des Aufenthalts Farenges in der Schweiz basiert auf den Hinweisen in den Briefen, ausserdem durften die Autoren (hier wohl eher die Autorin) dafür namentlich auf die Unterstützung der Historikerin Lucienne Hubler zählen.

Im Zentrum des Werks stehen aber die Briefe Farenges. Sie sind im Wortlaut wiedergegeben, mit minimalen Anpassungen der Orthografie und Interpunktion zur besseren Lesbarkeit. Zwei Eigenschaften zeichnen diese Briefe aus. Erstens: Im Gegensatz zu manchen anderen Zeugnissen des Refuge spricht aus ihnen nicht ein Theologe oder eine gebildete Dame aus der Oberschicht, sondern ein einfacher Handwerker. Sie sind auch nicht als Reisebericht gedacht; Informationen über den Alltag, die Lebens umstände in Bern und Yverdon, sind fragmentarisch, zufällig und oft wenig aussagekräftig. Wer also ein Kultur oder Lebensbild aus der Refugiantenzeit – um an die Studie von Eduard Bähler von 1908 anzuknüpfen – erwartet, wird enttäuscht. Und zweitens fällt auf, wie stark Farenge religiös geprägt und motiviert ist. Seine Bibelfestigkeit beeindruckt. Mit geradezu missionarischem, unermüdlichem Eifer und mit gezielt ein gesetzten Bibelzitaten – optisch durch Kursivschrift gut erkennbar – insistiert er bei seiner Frau, dem falschen Glauben abzuschwören und ihm endlich zu folgen. Auch die Briefe an seinen Schwiegervater schöpfen aus der Bibel und aus den Psalmen. Seine Briefe, so stellen die Autoren fest, erinnern an das Genre der reformierten Predigt, das Jean Farenge durch seine Erziehung und religiöse Praxis verinnerlicht hatte: die Lektüre der Bibel und von Frömmigkeitsschriften, das Auswendiglernen der Psalter von Clément Marot und Théodore de Bèze und des Katechismus von Jean Calvin sowie die Gottesdienstpredigten und die kursierenden Aufrufe zur Flucht. All diese Quellen bilden die Grundlage der Themen in Farenges Briefen.

Noch immer ist das Standardwerk von Johann Caspar Mörikofer von 1876 die einzige, aber völlig überholte Gesamtdarstellung der Geschichte der evangelischen Flüchtlinge in der Schweiz. Im Rahmen und in der Folge des Gedenkjahres von 1985 und der damaligen Ausstellung in Lausanne entstanden zwar eine Vielzahl grösserer und kleinerer, weit verstreuter Publikationen zu Teilaspekten der Hugenotten und Waldenser in der Schweiz, doch dann wurde es seltsam still um diese Materie, und das trotz der Brisanz und der Aktualität des Themas Flucht. Eine Ausnahme bildet die Schweizerische Gesellschaft für Hugenottengeschichte, die hier nun zum dreizehnten Mal einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Refuge in der Schweiz leistet.

Zitierweise:
Wick-Werder, Margrit: Rezension zu: Carbonnier-Burkard, Marianne; Trouchaud, Jean-Pierre: Un huguenot de Marsillargues réfugié en Suisse. Lettres de Jean Farenge à sa famille, 1686 – 1689. Neuchâtel: Alphil 2022 (Publications de l’Association suisse pour l’histoire du Refuge huguenot 13). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 3, 2022, S. 45-47.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 3, 2022, S. 45-47.

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